Bisher galt die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nur für steuerpflichtige Lieferungen von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher. Das Haushaltsbegleitgesetz 2004 enthält aber eine Änderung im Umsatzsteuergesetz, die die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers mit Wirkung vom 1. April 2004 erheblich ausdehnt. Betroffen sind jetzt sämtliche Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, sowie Bauleistungen, wenn der Leistungsempfänger selbst solche Bauleistungen erbringt.
Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Leistungsempfänger ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Für den leistenden Unternehmer bedeutet dies, dass er die Umsatzsteuer nicht mehr gesondert ausweisen darf. Stattdessen muss er in seiner Rechnung auf den Übergang der Steuerschuldnerschaft hinweisen. Auch wenn der leistenden Unternehmer nicht auf den Übergang hinweist und die Umsatzsteuer ausweist, geht die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger über. In diesem Fall schuldet aber der leistende Unternehmer - zumindest bis zu einer Rechnungsberichtigung - ebenfalls die Umsatzsteuer wegen unberechtigten Steuerausweises.
Der Leistungsempfänger muss die Umsatzsteuer in jedem Fall als eigene Steuer an das für ihn zuständige Finanzamt abführen. Soweit er die Leistung für sein Unternehmen bezieht und sie für Ausgangsumsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, hat er aber gleichzeitig Anspruch auf Vorsteuerabzug. Dann heben sich die geschuldete Umsatzsteuer und die abziehbare Vorsteuer aus der Leistung gegenseitig auf.
Wenn der leistende Unternehmer mehrere Leistungen erbringt, die nur zum Teil Bauleistungen sind, kommt es darauf an, welche Leistung im Vordergrund steht. Diese bestimmt dann die Behandlung des Gesamtumsatzes. Die Nebenleistungen teilen also das Schicksal der Hauptleistung.
Da die Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, in der Regel steuerfrei sind, setzt die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers voraus, dass ein wirksamer Verzicht auf die Steuerbefreiung durch den Lieferer vorliegt. Im Zwangsversteigerungsverfahren ist der Verzicht nur bis zur Aufforderung zur Abgabe von Geboten im Zwangsversteigerungstermin zulässig. Bei allen anderen Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, muss die Option zwingend in den notariellen Kaufvertrag oder eine notariell zu beurkundende Vertragsergänzung aufgenommen werden. Dieser Beurkundungszwang, der erst seit dem 1. Januar 2004 gilt, soll den Käufer davor schützen, dass der leistende Unternehmer nachträglich die Option ausübt, wodurch auch eine nachträgliche Steuerschuld beim Leistungsempfänger entstehen würde.
Beispiel: Sie kaufen ein Grundstück mit Bürogebäude, wobei der Verkäufer beim Verkauf zur Umsatzsteuer optiert. Hier geht die Steuerschuldnerschaft vom Verkäufer auf Sie über. Falls Sie nun das Gebäude umsatzsteuerpflichtig an einen anderen Unternehmer vermieten, haben Sie aber auch einen Anspruch auf Vorsteuerabzug. Sie können also die Umsatzsteuer aus dem Kauf mit dem Vorsteueranspruch verrechnen. Die Steuerschuldnerschaft wäre aber auch dann nach dem Kauf bei Ihnen eingetreten, falls Sie auf die Option zur steuerpflichtigen Vermietung verzichtet hätten oder steuerfrei vermieten müssen.
Nicht so einfach ist die Regelung bei Umsätzen für Bauleistungen. Voraussetzung für die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ist einerseits, dass der Leistungsempfänger ebenfalls Unternehmer ist und als solcher Bauleistungen erbringt. Zweite Voraussetzung ist, dass die Leistung der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient.
Dass der Leistungsempfänger selbst Bauleistungen erbringt, nimmt die Finanzverwaltung an, wenn er im vorangegangenen Kalenderjahr Bauleistungen erbracht hat, die mindestens 10 % seiner steuerbaren Umsätze ausgemacht haben, oder wenn er dem leistenden Unternehmer eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige Freistellungsbescheinigung vorlegt. Der Leistungsempfänger wird aber nicht zum Steuerschuldner, wenn er bisher noch keine nachhaltigen Umsätze gemäß den Vorgaben dieser Regelung erzielt hat, sondern möglicherweise erst später solche Umsätze erbringt.
Zu den Bauleistungen zählt die Finanzverwaltung beispielsweise den Einbau von Fenstern, Türen, Bodenbelägen, Aufzügen, Rolltreppen, Heizungsanlagen, aber auch von Einrichtungsgegenständen, wenn sie mit dem Gebäude fest verbunden sind (Ladeneinbauten, Schaufensteranlagen, Gaststätteneinrichtungen etc.). Ebenso gehören dazu Erdarbeiten beim Bau, Installation einer Lichtwerbeanlage, Dachbegrünungen und künstlerische Arbeiten an Bauwerken sowie alle in der Baubetriebe-Verordnung genannten Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit einem Bauwerk durchgeführt werden und zu einer Substanzerweiterung, Substanzverbesserung oder Substanzbeseitigung führen oder der Erhaltung des Bauwerks dienen. Der Begriff des Bauwerks ist dabei sehr weit auszulegen.
Ausdrücklich ausgenommen sind Planungs- und Überwachungsleistungen. Darunter fallen ausschließlich planerische Leistungen von Statikern, Architekten, Bauingenieuren und anderen, Labordienstleistungen, reine Leistungen zur Bauüberwachung, zur Prüfung von Bauabrechnungen und zur Durchführung von Ausschreibungen und Vergaben. Außerdem hat das Bundesfinanzministerium eine Liste mit Umsätzen veröffentlicht, die ebenfalls nicht der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers unterliegen:
Materiallieferungen, auch wenn der liefernde Unternehmer den Gegenstand der Lieferung im Auftrag des Leistungsempfängers herstellt, nicht aber selbst in ein Bauwerk einbaut.
Anliefern von Beton (Anliefern und anschließendes Verarbeiten durch den Anliefernden ist im Gegensatz dazu eine Bauleistung).
Lieferungen von Wasser und Energie.
Bereitstellung von Betonpumpen und anderen Baugeräten, es sei denn, es wird zugleich Bedienungspersonal für substanzverändernde Arbeiten zur Verfügung gestellt.
Aufstellen von Material- und Bürocontainern und mobilen Toilettenhäusern.
Entsorgung von Baumaterialien (Schuttabfuhr durch Abfuhrunternehmer).
Gerüstbau und Aufstellen von Messeständen.
Anlegen von Bepflanzungen und deren Pflege mit Ausnahme von Dachbegrünungen.
Arbeitnehmerüberlassung, auch wenn die überlassenen Arbeitnehmer für den Entleiher Bauleistungen erbringen.
Bloße Reinigung von Räumlichkeiten oder Flächen (beispielsweise von Fenstern).
Reparatur- und Wartungsarbeiten an Bauwerken oder Teilen von Bauwerken, wenn das Nettoentgelt für den einzelnen Umsatz nicht mehr als 500 Euro beträgt.
Beispiel 1: Das Gartenbauunternehmen Gernegrün KG hat sich auf die Gestaltung und Pflege exotischer Gartenbepflanzungen spezialisiert und betreibt dazu auch eine Gärtnerei mit Gewächshäusern. Schäden lässt die Gernegrün KG immer vom Glasermeister Durchblick beheben. Die Reparatur von Durchblick unterliegt hier nicht der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, da zwar der Einbau neuer Scheiben in die Gewächshäuser eine Instandhaltung von Bauwerken darstellt, die Tätigkeit der Gernegrün KG aber keine Bauleistung im Sinne des Gesetzes ist.
Beispiel 2: Nachdem die Umsätze im Gartengeschäft sinken, will die Gernegrün KG zukünftig auch Dachbegrünungen durchführen. Da dies eine Bauleistung im Sinne des Gesetzes ist, unterliegt die Gernegrün KG zukünftig ebenfalls der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für die Reparaturen von Durchblick, und zwar spätestens dann, wenn die Umsätze der Dachbegrünungen im Vorjahr die Signifikanzgrenze von 10 % der Gesamtumsätze überschritten haben.
Beispiel 3: Ein selbstständiger Maurermeister beauftrag einen Heizungsinstallateur damit, eine neue Heizung in seinem selbst genutzten Einfamilienhaus einzubauen. Auch hier kommt es zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, also des Maurermeisters, weil beide Parteien Unternehmer sind, die Bauleistungen im Sinne des Gesetzes ausführen. Dass der Maurermeister die Heizung für sein privates Eigenheim beauftragt hat, das nicht zu seinem Unternehmensvermögen gehört, spielt dabei keine Rolle.
Um Anlaufschwierigkeiten für betroffene Unternehmer zu vermeiden, wird es von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn die Vertragspartner bis zum 30. Juni 2004 weiterhin von einer Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers ausgehen, vorausgesetzt, dieser Umsatz wird in zutreffender Höhe versteuert. Diese Übergangsvorschrift gilt nicht für steuerpflichtige Lieferungen von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher. Es liegt bereits ein Anwendungsschreiben des Bundesfinanzministeriums zu der neuen Gesetzeslage vor.